Sommelier Axel Biesler weiß, wann Wein mit der richtigen Dosis Petrol zur Delikatesse wird
Ein Wein, der nach Petrol oder Kerosin riecht, gibt’s denn sowas? Ja, so etwas gibt es, obwohl es sich zunächst einmal nach grobem Unfug anhört. Denn man sollte wohl meinen, dass dieses Aroma im Wein nichts verloren hat, sondern seine pikante Wolke in der Nähe von Tankstellen oder meinetwegen auch in nostalgisch beleuchteten Skihütten verbreitet. Nein, natürlich ist im Wein kein Kerosin enthalten. Wie sollte es auch dahin gelangen? Indes können Weine mit zunehmender Reife einen Duft entwickeln, der eben daran erinnert. Nicht jede Sorte ist dafür anfällig. Vorzugsweise Weißweine aus der Sorte Riesling scheinen diese Komponente zu entwickeln. Und sie wird von Kennern und Liebhabern durchaus geschätzt. Wie immer, macht aber auch hier die Dosis das Gift.
Erst eine komplexe Mischung aus gereiften Fruchtaromen, mineralischer Würze und der richtigen Dosis Petrol macht aus einem solchen Wein eine seltene Delikatesse. Freilich liegt ein solches Erlebnis stets im Ermessen seines Connaisseurs, denn die Wahrnehmungsschwelle bei Menschen für den Geruch von Petrol ist durchaus unterschiedlich. So mag es dem einen köstlich vorkommen, wovor es dem andern graut. Der Präsident der Hochschule Geisenheim und langjährige Leiter des Fachgebiets Weinbau Prof. Dr. Hans Reiner Schultz weiß zu berichten, dass circa 50 Prozent der Bevölkerung für diesen speziellen Geruch sensibel seien. Zudem sei der Geruchsschwellenwert in der letzten Zeit drastisch nach unten korrigiert worden. Nehmen also immer mehr Menschen diesen Geruch in immer geringeren Konzentrationen wahr? „Nein“, korrigiert Schultz, „die Wissenschaft hat den Wert nach unten korrigiert. Man dachte früher, er läge bei 20 Mikrogramm, heute weiß man jedoch, dass er eher bei zwei Mikrogramm liegt.“ Das bedeute aber nicht, dass die Bevölkerung für diesen Geruch sensibler geworden sei. Einen chemischen Namen hat er auch: 1,1,6-Trimethyl-1,2-dihydronaphthalin (TDN).
Besonders rasant entsteht TDN bei Rieslingen aus Australien, die bereits nach einem Jahr auf der Flasche (manchmal gar früher) diesen Duft entwickeln. Über ihre Güte indes sei dabei noch gar nichts gesagt, sie können durchaus frisch und mineralisch schmecken. Eine gewisse Portion TDN ist bei Rieslingen aus solch hitzigen Klimaten sogar typisch und erwünscht. Ein Zusammenhang zwischen Klima und der Entwicklung dieses Aromas ist also naheliegend. Andere Studien haben gezeigt, dass ebenso bestimmte Arbeiten im Weinberg, wie das Entblättern, zu höheren TDN-Werten führen. Was wiederum eine logische Konsequenz ist, da diese Trauben stärkerer Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind. Hierzulande sind es vor allem die Rieslinge von der Mosel und aus dem Rheingau, die diesen Geruch nach einigen Jahren der Reife entwickeln.
Schultz erklärt, dass speziell an der Mosel die Entstehung von TDN auch mit den niedrigen pH-Werten der Weine zusammenhängen könnte, die in anderen Regionen höher seien und weniger TDN in den Weinen zu bilden scheinen. Doch sind ebenso Rieslinge aus Baden mit vergleichsweise hohen pH-Werten sind nicht vor diesem Aroma gefeit. Der letzte Groschen ist also noch nicht gefallen. „Die Ursache für TDN und das resultierende Kerosinaroma sind schwierig zu verstehen, und die Wissenschaft hat noch keine zufriedenstellende Erklärung“, so Schultz. Da bleibt nur festzuhalten, dass zu einem exzellent gereiften Riesling unbedingt ein kleiner Schuss Petrol gehört. Die besten von ihnen brauchen dafür viele Jahre, manchmal Jahrzehnte, dann ist Petrol nur ein kleines, aromatisches Element in einem großen Wein.